"für die frauen, die ein totes kind gebären mussten, ist es eine lebenskatastrophe, die unter umständen niemals heilt. aber selbst die "normale" fehlgeburt, wo der körper die frucht in den ersten drei monaten abstößt, weil sie nicht gesund war, ist eine schwere psychische belastung, die einer langen zeit der verabschiedung, trauer und verarbeitung bedarf.
die therapeuten wissen das. die frauen, die es durchleiden mussten, wissen das. und ihre männer, die beinahe-väter, wissen das auch. oft wissen es sogar die pfarrer.
wer es nicht weiß, ist unsere gesellschaft als kollektiv und unsere bundeskanzlerin. vielleicht ist das der letzte bereich, wo unsere ach so fortschrittliche, aufgeklärte gesellschaft, die ansonsten jeden autounfall als traumatisierungsträchtig erkennt, noch zutiefst männlich geprägt und hundertprozentig frauenfeindlich ist. es ist jedenfalls der einzige bereich, wo es für frauen geradezu verstörend ist, dass der bundeskanzler konservativ und weiblich ist. denn über fehl- und totgeburten und ihre folgen redet man nicht. es ist ein tabu. man redet in dieser gesellschaft auch nicht darüber, dass man die hilfe der reproduktionsmedizin in anspruch nehmen muss, wenn man auf normalem weg keine kinder bekommen kann. das alles sind "frauensachen", die umgehend "weggesteckt" werden müssen, das haben andere doch auch geschafft.
angela merkel hat sich nun ausgesprochen für ein verbot der präimplantationsdiagnostik (pid), bei der embryonen nach der künstlichen befruchtung auf genetisch bedingte krankheiten untersucht werden. teile der spd und der grünen wollen sich der kanzlerin anschließen. dies bedeutet ganz einfach, dass gewisse frauen per gesetz dazu gezwungen werden, vorhersehbare fehlgeburten und spätabtreibungen zu erleiden. dass gewisse eltern ihre neun monate lang getragenen, geborenen, aber dann nicht lebensfähigen kinder sterben sehen müssen. dass sie vielleicht nie ein gesundes kind bekommen.
obwohl das nicht sein müsste."
der spiegel: eva menasse "zellhaufen mit potential"
ich habe lange zeit das blog von julia gelesen. ihre beiden jüngsten kinder hat sie während der schwangerschaft die 'thirteens' genannt, denn julia war bis dahin gravida 12, para 1; zwölf schwangerschaften, ein lebendes kind.
julias mann hat eine 'balanced translocation' der chromosomen 1 und 4 und so endeten elf von julias schwangerschaften in fehlgeburten und/oder d&cs, eine für mich nur in ansätzen vorstellbare belastung für seele und körper. vor den thirteens hatten julia und ihr mann cvs zur frühdiagnostik genutzt - eine rein diagnostische methode, ohne therapeutische möglichkeit. die thirteens sind das ergebnis von ivf und pid. ausgesucht, weil ihre gene die translocation nicht haben. dabei ist die methode keine garantie für die (genetische) gesundheit der getesten embryos (wie ja eigentlich nichts beim kinder kriegen, nichts im leben eine garantie haben kann), sondern lediglich einen einschätzung; translocations können auch als mosaicism vorkommen, und die embryonen so trotz scheinbar 'negativer' pid-ergebnisse schwer geschädigt und nicht lebensfähig sein.
julia und ihr mann (und die thirteens) hatten glück. denn julia lebt in den usa. eine deutsche mit dem gleichen problem wie sie hätte keine möglichkeit sich und ihren ungeborenen kindern weitere fehlgeburten zu ersparen. vielleicht würde eine deutsche julia sich irgendwann entscheiden, spendersperma zu verwenden, ihr mann die biologische vaterschaft aufgeben und beide so das eine ethische problem gegen ein anderes austauschen. vielleicht würden sie das mit dem kinderkriegen total sein lassen, versuchen ein kind zu adoptieren oder wasauchimmer tun. eins ist aber klar: die möglichkeit, mit pid ihre chancen auf ein gesundes kind zu erhöhen, die hätten sie hier gar nicht erst bekommen.
durch julia, ihren mann und die thirteens, die heute edward und caroline heißen, habe ich verstanden, worum es bei der pid tatsächlich geht. nämlich nicht um designerbabys mit wunschhaarfarbe, sondern um die sehnsucht nach elternschaft und familie und um das verhindern von sinnlosem leid und tod.
es macht mich wütend, dass in deutschland wenige stunden alte zellhaufen von der politik mehr rechte zugestanden werden, als föten in der 38. schwangerschaftswoche. ich bin wütend, dass frauen der zugang zu reproduktionsmedizin auf dem aktuellen stand der forschung versagt, und gleichzeitig von ihnen erwartet wird, kranke föten spätabzutreiben. und ich bin wütend, weil diese lebens-, frauen- und familienfeindliche politik auch noch vorgibt, das leben zu schützen. fuckers.
[spiegel text via irgendwem auf twitter. danke. | nablopomo 2010, 19/30]