Mittwoch, 3. Oktober 2007

reading. [#6]

"wir liegen auf den beiden matratzen, nicht seite an seite, dennoch kopf an kopf. die arterie über deinem schläfenbein pulst gegen meine wange. dein haar berührt meine nase, doch es kitzelt nicht, riecht bloss - nach shampoo und nach dir. seit minuten oder stunden bewegen wir uns kaum, sagen nichts, atmen flach. deine augen sind geschlossen, meine schauen hoch zum offenen fenster, in dem sich nichts zeigt als eins stück des wolkenlosen, weder hellen noch dunklen himmels.
und wollte ich mich überhaupt etwas fragen, dann nur, ob der morgen herandämmert oder der abend. ich fühle mich weder müde noch wach, weder schwer noch leicht, muss weder rauchen noch essen, noch trinken, noch zum klo. ich habe nicht das bedürfnis nach distanz, aber auch keine lust, dich zu umarmen. ich bin frei, nicht zu, sondern von allem, und trotzdem nicht einsam...

dieser film läuft, sobald ich an dich, an uns denke. ich sehe ihn und gleichzeitig mich darin vorkommen (mitspielen wäre wohl das falsche wort), nicht als die frau, die ich jetzt bin, sondern so, wie ich vor vielen jahren war: jünger, schöner und meistens neben dir.
ich kann den schon ein wenig verblichenen und zerkratzen film nicht zurückspulen, nur beschleunigen oder strecken, sequenzen, die mir gefallen, anhalten, bis sich der ganz spuk auflöst, weil das telefon wieder klingelt oder der postbote oder weil ich, von keiner weiteren störung behelligt, das heute nähere, morgen fernere ufer des schlafs erreicht habe.
je länger der film dauert, um so ereignisloser wird er; und vielleicht ist der vergleich mit einem stotternd abgespulten kino- oder fernsehfilm nicht der beste, vielleicht gehören diese bilder, die mir eins nach dem anderen über die netzhäute flimmern, ja eher zu einer serie nicht sehr scharfer, auch deshalb einander ähnlichen diapositive, deren unwillkürliche, nie identische reihenfolge von meinen wimpernschlägen abhängt, davon, wann und wie oft sich meine augen schliessen, öffnen, schliessen... das fenstergroße stück dämmerungshimmel ohne wolken und gestirne, die signalrot bezogene matratzen im hintergrund meines zimmers, unsere ruhenden körper, wir auf den straßen berlins, du bei joe, ich vor meiner kiste alten krempels..., nur mehr die kraft meines vorstellungsvermögens erzeugt jedes einzelne dieser bilder und alle zusammen, was die filmmetapher ebenso rechtfertigte wie die von der diaserie, wäre da nicht noch der geruch deines haars, die klebrige wärme deiner schläfe und meiner wange, unser asynchrones armen und die freiheit verheissende bedürfnislosigkeit, die ich empfand und immer wieder neu empfinde, die ich, seit ich sie zum ersten mal erlebte, glück nenne, ein betörend undramatisches glück, das zu mir zurückkehrt, mit jeder erinnerung daran."

katja lange-müller: böse schafe.