Freitag, 23. Dezember 2005

parallel universe.

ich stehe in begleitung auf dem weihnachtsmarkt, zum ersten und einzigen mal in diesem jahr glühweintrinken, als mein telefon klingelt. schon wieder störung, wie ärgerlich, wir sind doch gerade erst unterbrochen worden, so in real life, von p, dem whimpster, der mir vor monaten nach einem konzert im jos fritz mitten im gespräch weggerannt ist, morgens um 3am, und den ich seitdem nicht gesehen und heute auf den ersten blick noch nicht mal erkannt habe. aber mal aufs handy gucken, wer das ist, unglaublich, da steht karsten mobil. karsten ist mein allererster freund, vor meinem halben leben, ganz am anfang der neunziger, da waren wir ein pärchen, und zusammen im kanuclub. er der hübschete junge von allen, keanu reeves lookalike, unser erstes date im kino bei 'pretty woman', auf dem rückweg davon von der polizei angehalten, weil ich auf dem gepäckträger seines fahrrads mitgefahren war. das war süss, damals, und harmlos und gut, ein paar monate lang, keine prägende beziehung, die kamen später, dafür waren wir beide zu jung, dafür war das zu viel händchenhalten, zu wenig sonstwas, aber das war schon gut so alles. wir hören ab und zu voneinander, der einzige exfreund, mit dem ich wirklich regelmäßig kontakt habe, was das nur wieder über mich und meine crappy beziehungen aussagt, er ist der einzige exfreund, der mich jedes jahr an meinem geburtstag anruft. seinen geburtstag vergesse ich auch nie, und das liegt nicht nur daran, dass er genau zwei monate nach mir geburtstag hat. vor etwas mehr als einem jahr, als mein vater krank war, und ich deswegen zu hause, da haben wir uns getroffen, zum ersten mal seit jahren, zum ersten mal, seitdem er verheiratet ist. er hat die übernächste freundin nach mir geheiratet, neun jahre war er vorher mit ihr zusammen. riesenhochzeit, so kirchlich und mit familie und mit selbst- und gegenseitig geschmiedeten eheringen. im juni, als er zu meinem geburtstag anrief, da sagte er, dass sie schwanger seien, in der neunten oder zehnten woche erst, und dass sie schon wüssten, dass es zwillinge würden, und da habe ich mich ganz ernsthaft für sie beide gefreut, dabei kenn ich seine frau noch nicht mal. die kinder wurden übrigens am ersten abend des tauchurlaubs in ägypten gezeugt, übrigens, im ersten monat, in dem sie es versucht haben. geht das eigentlich noch perfekter? seitdem hatten wir nichts voneinander gehört, seinen dreissigsten geburtstag wollte er ignoriert wissen, deswegen habe ich mich da auch nicht gemeldet, und ich hatte ein paar mal darüber nachgedacht, die letzten wochen, wann denn wohl die zwillinge auf die welt kommen würden. und dann klingelt das handy am dienstag abend, in der woche vor weihnachten, und er ruft an. auf dem heimweg ist er, im auto, und nein, die kinder sind noch nicht da, aber es werden zwei mädchen, die namen stehen schon fest, wer welchen bekommt auch, es kann, es wird jeden tag soweit sein. dann redet er mit mir über den cervix seiner frau, die fast nur noch rumliegt, zu hause, vor erschöpfung, aber 35 wochen plus natürliche geburt, das ist doch toll bei erstgebärenden mit zwillingen, dazu noch mit dem zierlichen körperbau! die drei wochen bettruhe im krankenhaus wegen frühwehen hat sie auch gut hinter sich gebracht. ich frage ihn, ob er angst hat. hat er nicht, sagt er. ich rede mit meinem ersten freund über seine bald zu gebärenden kinder, und klar, freu ich mich für ihn, aber ich finde es gleichzeitig extrem surreal. wir legen auf, nachdem ich versprochen habe, einen glühwein für ihn mitzutrinken, un er versprochen hat, ein mail zu schicken, plus bild, wenn die mädels da sind, und ich lächel, klar doch, und bin gleichzeitig auch im schock. mein leben findet in einem anderen universum als seinem statt, ganz offensichtlich. in meinem universum ist niemand so wirklich und herkömmlich erwachsen, ich schon gar nicht, verantwortung trag ich nur für mich, und ich versacke am wochenende schon mal gerne mit bands in fünfsternehotels und trinke alkohol als sei ich sechzehn und komasaufen mein liebstes hobby. klar, ich mag das alles was ich veranstalte, sehr sogar, aber der kontrast zu dem, was er so tut, zu der perfektion mit der er dieses vorbildliche leben führt, ist einfach ein bisschen viel an diesem dienstag abend, an dem die beule auf meiner stirn vom vombettausgegendennachttischschlagen gerade so richtig schön blau wird und ich ohnehin schon bei glühwein #2. oh je. irgendwo, ganz ganz tief drin, da ist ein kleiner funken neid, ob der perfektion und der leichtigkeit und der zuverlässigkeit, die er da in seinem leben hat, mein erster freund, dabei kann ich mir ein leben wie seins, sein leben, doch auch so gar nicht vorstellen, für mich. er wohnt immer noch in unserer heimatstadt, wo ich nach drei tagen wahnsinnig werde. sie haben ein haus in der nähe ihrer eltern, er ist handwerksmeister in seinem beruf, sie ist selbständig, von zu hause aus, er fährt einen volvo kombi und immer noch kanu und sie klettern gemeinsam. könnte ich so sein, wäre ich so geworden, hätte ich sie sein können, wenn wir uns ein bisschen später begegnet wären, der erste freund und ich? ich wäre nie in australien gewesen, ich hätte vielleicht woanders studiert, wenn überhaupt. wer wäre ich dann? sicher nicht ich. zwar auch nicht sie, denn ich hätte das mit den zwillingen ja sowas von gar nicht hingekriegt, aber wer wäre ich denn dann? alles sehr creepy. parallel universe. und trotzdem freu ich mich für ihn, und für sie, und für ihre perfektion. in meinem universum allerdings, da habe ich erst mal die konzerttickets für die nächsten monate organisiert. art brut. [weil aller guten dinge sind ja zwei. ahem.]